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11.04.23 –
„Pflege wird die bestimmende soziale Frage der nächsten Jahre sein.“ ist Andreas Krahl überzeugt. Der gelernte Intensivpfleger, pflegepolitischer Sprecher der Grünen im Landtag und Vizepräsident des Bayerischen Roten Kreuzes, hielt vor einem voll besetzten Saal beim Werkstattgespräch des Kreisverbands und des Ortsverbands Ebersberg ein eindringliches Plädoyer für einen grundlegenden Wandel in den Pflegeberufen.
Momentan, das wurde schnell deutlich, stimmen die Pflegenden mit den Füßen ab. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge sank 2022 um 4000 im Vergleich zum Vorjahr. Und 75 Prozent derjenigen, die die Ausbildung beenden, verabschieden sich danach wieder aus dem Beruf. Gleichzeitig wird die Zahl der über 75-Jährigen bis 2035 um 40 Prozent steigen. Wer all diese Menschen pflegen soll, falls sie erkranken, ist heute völlig unklar.
Über die Ursachen der Misere war sich Krahl mit den anwesenden Pflegenden und Medizinern nicht ganz einig. Die Dokumentationswut habe überhand genommen, berichteten einige. Pflegekräfte würden mehr am Schreibtisch sitzen als am Pflegebett. „Gründliche Dokumentation und gute Therapieplanung sind das A und O einer professionellen Pflege“, hielt Krahl dem entgegen. Der 33-Jährige ist trotz seines Landtagsmandats weiterhin mit einer Viertelstelle am Unfallkrankenhaus Murnau beschäftigt. Die Satt-und-Sauber – Pflege sei nicht die Aufgabe examinierter Pflegekräfte, erläuterte er. Das könnten Hilfskräfte erledigen, damit die Examinierten sich dem widmen, was sie schließlich gelernt hätten, der Rehabilitation des kranken Menschen.
Um Pflegekräfte für den Beruf zu gewinnen und dort zu halten, setzt Krahl auf verstärkte Akademisierung. „52 Prozent aller Schulabgängerinnen und Schulabgänger machen in Deutschland Abitur“, erläuterte er. „Das heißt, für mehr als die Häfte eines Jahrgangs gibt es in dem Beruf gar kein Angebot. Und selbst wenn Abiturienten in die Pflege gehen, sobald ein Medzinstudienplatz am Horizont erscheint, sind sie blitzartig weg.“
Wie viele andere setzt auch der Landkreis Ebersberg auf ausländische Pflegekräfte, um die Lücken zu schließen. Dr. Ulrike Burggraf, die für die grüne Fraktion im Aufsichtsrat der Kreisklinik sitzt, berichtete von den 18 Filipinas, die dort seit kurzem in der Einarbeitungsphase sind. „Sie sind noch dabei, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern“, sagte sie. Ulrike Kleynmans, Sozialbetreuerin im Ebersberger Pichlmayr-Heim, hat dort einen starken Zuwachs von Fachkräften aus Kroatien beobachtet. „Sie sind sehr freundlich, die Bewohnerinnen und Bewohner lieben sie. Aber die Einarbeitung findet nicht mehr auf Deutsch statt.“
Andreas Krahl hält das nicht für eine Dauerlösung. Sowohl auf den Philippinen als auch in Kroatien sei die Pflegeausbildung ein Studium. Viele ausländische Mitarbeitende würde Deutschland wieder verlassen, wenn sie merkten, dass Tätigkeiten für die sie qualifiziert sind, in Deutschland Ärzten und Ärztinnen vorbehalten bleiben. „Deutschland und Nordkorea haben zwei Dinge gemeinsam“, bemerkte er bissig. „Kein Tempolimit und kein Pflegestudium.“
„Eine derart tiefgreifende Umstrukturierung braucht Zeit, die wir nicht mehr haben“, gab Dr. Marc Block zu bedenken, der Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbands Ebersberg. Pragmatisches Handeln sei jetzt gefragt, günstige Wohnungen und Kinderbetreuung die größten Probleme. Ralf Bembenek, Pflegedienstleiter beim Zentrum für Ambulante Hospiz- und Palliativversorgung der Caritas, sprach sich für höhere Löhne aus. „Heute ist es doch so: Pflegekräfte machen die Arbeit, Ärzte kassieren.“
Das grün geführte Gesundheitsministerium in Baden-Württemberg hat Ende 2022 einen Ideenwettbewerb zum Thema „Wiedereinstieg und Verbleib im Pflegeberuf“ ins Leben gerufen. Unter den Preisträgern überzeugte die Ebersberger Fachleute am ehesten das Konzept eines ambulanten Pflegedienstes im Neckar-Odenwald-Kreis. Dort wurde eine Kita an die Bedürfnisse des Schichtdienstes angepaßt. Sie öffnet bereits um 05:30 Uhr und unterhält einen Fahrdienst, der Kinder zwischen 0 und 14 Jahren von zuhause und von der Schule abholt.
„Klingt schön, aber da suchen wir Lösungen in einem Bereich, der selbst mit den allergrößten Problemen zu kämpfen hat“, resumierte Dr. Block. „Alle sozialen Berufe sind in den letzten Jahrzehnten sträflich vernachlässigt worden.“
Claudia Peter
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